Erster Tätigkeitsbericht

Totschnig und Abentung
Foto: BML / Rene Hemerka

Der 1. Tätigkeitsbericht des Fairness-Büros zeigt unfaire Praktiken in der Lebensmittelkette.

Der erste Tätigkeitsbericht zeigt: In der Lebensmittelkette herrscht ein Ungleichgewicht, das bäuerliche Familienbetriebe und Lieferanten unter Druck bringt und sich negativ auf die Konsumentinnen und Konsumenten auswirkt. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig stellte mit dem Leiter des Fairness-Büros, Dr. Johannes Abentung, die Ergebnisse des ersten Berichtes vor.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig:

„Entlang der Lebensmittelkette herrscht ein Kampf mit ungleichen Waffen. 107.000 Bäuerinnen und Bauern und eine Vielzahl von Lieferanten stehen drei großen Handelskonzernen gegenüber, die fast 90 Prozent des heimischen Marktes kontrollieren. Dieses Ungleichgewicht führt zu harten Preisverhandlungen, drohenden Auslistungen oder aufgezwungenen Vertragsbedingungen. Um Lieferanten im Kampf gegen unfaire Handelspraktiken zu schützen, wurde 2021 das Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetz beschlossen und darauf aufbauend vor einem Jahr das Fairness-Büro eröffnet.“

„Das unabhängige Fairness-Büro ist ein großer Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit und Transparenz in der Lebensmittelkette. Es fungiert wie ein Radar uns spürt das Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht auf. Das zeigen a uch die Ergebnisse des ersten Tätigkeitsberichtes: Wir alle kennen Rabattaktionen wie das „-25Prozent Rabattpickerl“‚ „1+1 gratis“ oder „-25 Prozent Wochenendrabatte“. Beschwerden an das Fairness-Büro zeigen, dass die Kosten dafür oft die Lieferanten selbst bezahlen müssen – sonst droht ihnen eine Auslistung."

Leiter des Fairness-Büros Dr. Johannes Abentung:

„Jede Woche beschweren sich im Schnitt vier Lieferanten wegen unfairer Handelspraktiken beim Fairness-Büro. Diese Beschwerden haben bereits im ersten Arbeitsjahr das Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht zwischen Produzenten und größeren Käufern bestätigt. Aufgrund von Aussagen der Beschwerdeführer und der vorgelegten Unterlagen wurde der Verdacht auf Missbrauch der Verhandlungsmacht erheblich erhärtet. Weitere Schritte hängen aufgrund des Schutzes der Anonymität von Beschwerdeführern entweder von deren Zustimmung oder von weiteren Meldungen an das Fairness-Büro ab.“

„Der Vorteil des Fairness-Büros ist, dass Betroffene von unfairen Handelspraktiken frei und ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen, wie zusätzlichem Preisdruck oder Auslistungen, Missstände aufzeigen können. Sämtliche Anliegen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Lebensmitteln werden stets anonym und vertraulich behandelt. Ich kann nur jeden Betroffenen dazu aufrufen, sich zu melden.“

Zentrale Ergebnisse des 1. Tätigkeitsberichtes

Aggressive Preispolitik und Aktionen auf Kosten der Produzenten

  • Große Käufer nutzten die wirtschaftlichen Herausforderungen im vergangenen Jahr um mit ihrer Verhandlungsmacht Preisdruck auf schwächere Lieferanten auszuüben.
  • So wurden etwa die Kosten von (-25 Prozent)-Wochenend-Aktionen, -25 Prozent-Rabattpickerln sowie zusätzliche Umsatzrabatte von Handelsketten oft auf die Lieferanten und Produzenten abgewälzt. Diese tragen zwar die Kosten, haben aber kein Mitbestimmungs- oder Widerspruchsrecht, da andernfalls Konsequenzen drohen.
  • Beispiel: Ein Handelskonzern legt einem Lieferanten eine Vereinbarung vor, die Jahresrabatte und die Teilnahme an -25 Prozent-Rabattaktionen beinhaltet. Der Lieferant hat faktisch kein Widerspruchsrecht, weil der Rabatt im Vertrag „vorab vereinbart“ wurde. In Wirklichkeit hat der Lieferant aber keine Wahl, da bei Verweigerung ein Teilnahmeverbot an künftigen Aktionen oder gar die Auslistung seiner Artikel droht.

Aufgezwungene Vertragsbedingungen

  • Das starke Ungleichgewicht zwischen kleinen Lieferanten und großen Käufern wird nicht nur in Beratungsgesprächen mit dem Fairness-Büro erläutert, sondern spiegelt sich auch in Verträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen wider.
  • Dies wird auch dann offensichtlich, wenn der Lieferant nach vertraglich vereinbarten Preisanpassungen fragt und diese regelmäßig verweigert werden.
  • Beispiel: Wie alle Österreicherinnen und Österreicher ist auch die heimische Landwirtschaft massiv von den steigenden Energie- und Betriebskosten betroffen. Ein Landwirt benötigt deshalb dringend die vertraglich vereinbarte Preisanpassung von seinem Käufer. Alle Anfragen zu Gesprächsterminen werden von diesem verweigert oder dieser teilt mit, dass ausschließlich zum ursprünglich vereinbarten Preis gelieferte Ware akzeptiert wird.

Zunahme an Eigenmarken & vertikale Integration

  • Der Anteil an Eigenmarken nimmt im Lebensmitteleinzelhandel immer mehr zu.
  • Damit steigt nicht nur die Verhandlungsmacht der Handelskonzerne, sondern auch die Austauschbarkeit von heimischen Lebensmitteln und Produzenten.
  • Tendenzen zeigen, dass internationale Handelskonzerne ihre bisherigen Lieferanten aus der Lebensmittelproduktion übernehmen.
  • Beispiel: Ein Handelskonzern verlangt von einem Produktionsbetrieb einen gewissen Produktionsanteil für seine Eigenmarke in gleicher Qualität, aber mit deutlich geringerem Preis. Bei Verweigerung droht die Auslistung des Markenproduktes.

Das Fairness-Büro

  • Das Fairness-Büro wurde im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft als unabhängige und weisungsfreie Stelle eingerichtet.
  • Es hat mit 1. März 2022 seine Arbeit aufgenommen.
  • Das Fairness-Büro hilft anonym und kostenlos Betroffenen, die beim Verkauf von Agrar- oder Lebensmittelerzeugnissen von größeren Käufern unter Druck gesetzt werden und denen verbotene oder unlautere Handelspraktiken widerfahren.
  • Die Rechtsexperten des Fairness-Büros sind beratend tätig, analysieren Beschwerdefälle und prüfen sinnvolle weitere Vorgehensweisen, wie etwa eine Anzeige bei der Bundeswettbewerbsbehörde.